Prof. Dr. Ulrich Kaiser
Professor für Musiktheorie
Hochschule für Musik und Theater München
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Digitale Innovation in der Lehre

von Ulrich Kaiser (11/2019), der Beitrag als PDF-Datei.

Während die Digitalisierung in der Verwaltung der Musikhochschulen bereits auf den Weg gebracht worden ist, erweist sich die Digitalisierung in der Lehre sowie künstlerischen Praxis bisher als unzureichend. Um sich über digitale Innovationen in der Lehre an Musikhochschulen Gedanken zu machen, sind zwei Differenzierungen hilfreich:

  1. Während mit Digitalisierung lediglich die Umwandlung analoger Sachverhalte in digitale Repräsentationen bezeichnet wird, meint Digitalität die auf einer hinreichenden Digitalisierung beruhenden Möglichkeiten menschlichen Handelns. In diesem Sinne bildet Digitalisierung lediglich die notwendige Infrastruktur einer Digitalität der Lehre, die innovativ sein kann, indem analoge und digitale Strategien konstruktiv aufeinander bezogen werden.
  2. Es ist hilfreich, die Ausbildungen an den Kunsthochschulen gedanklich in zwei Bereiche zu trennen: In einem Bereich befinden sich die künstlerische Instrumentalausbildung, die Kompositions- und Filmmusikausbildung sowie Studiengänge wie Musikmanagement und Musikjournalismus. Der andere Bereich umfasst die Lehramtsausbildung, die künstlerisch-pädagogischen Studiengänge, Musikwissenschaft/Musiktheorie/Gehörbildung sowie die Kirchenmusik. Das verbindende Moment aller Studiengänge zeigt sich im künstlerischen Einzel- und Gruppenunterricht (Chor, Orchester, Kammermusik), das Trennende liegt in der Berufsorientierung. Denn der erste Bereich bereitet auf eine Partizipation an der Kreativwirtschaft vor, der zweite Bereich auf eine Beschäftigung im Bildungssystem bzw. in kirchlichen Einrichtungen. Der erste Bereich hat die kommerzielle Verwertung künstlerischer Tätigkeiten und Erzeugnisse zum Ziel, die für den zweiten Bereich ein Hindernis darstellt, was sich an den gesetzlichen Schrankenbestimmungen ablesen lässt. Es ist wahrscheinlich, dass eine Digitalität der Lehre nur dann innovativ und nachhaltig sein kann, wenn bei deren Einführung die divergierenden Interessen im Hochschulbetrieb angemessen berücksichtigt werden.

Im Folgenden wird ein Modell entworfen, das veranschaulicht, wo die Gemeinsamkeiten in der Ausbildung der beiden oben genannten Bereiche liegen. In den Erläuterungen finden sich dann für den zweiten Bereich (Bildung) konkrete Vorschläge im Hinblick auf digitale Innovationen in der Lehre. Eine Umsetzung dieser Vorschläge ist personal- und kostenintensiv, hätte jedoch auch positive Seiteneffekte für den ersten Bereich (Kreativwirtschaft).

Modell ›Digitale Innovation in der Lehre‹

Erläuterungen zum Modell

Interner Bereich mit geringer Außenwirkung

Substantielle Säule des internen Bereichs sind Studierende, die zum Studium zugelassen worden sind sowie das durch Beschäftigungsverhältnisse an die Institution gebundene künstlerische und wissenschaftliche Lehrpersonal. In diesem Bereich dominieren derzeit exzellente analoge Kompetenzen in Verbindung mit konservativen Vermittlungsmethoden. Das mag für den künstlerischen Bereich hinreichend sein, für den Bildungsbereich ist es ungenügend.

Innovationen für den Bereich Bildung

Paradigma derzeitiger Pädagogik und Bildungspolitik ist ein Kompetenz-Begriff, der über den Wissenserwerb hinausgreift und auch die Anwendung des erworbenen Wissens in den Blick nimmt. Demnach soll die Lehre Kompetenzen vermitteln, die zur »aktiven Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen und […] zum lebenslangen Lernen befähigen«.1 Aus der Perspektive des Kompetenzerwerbs sind für die Hochschullehre zwar viele digitale Neuerungen denkbar, innovativ sind davon jedoch nur wenige. Zu den innovativen Neuerungen im Rahmen der Digitalität im Bildungsbereich zählen Open Educational Resources2 (OER), das heißt, kostenlose und unter einer kulturell freien Lizenz veröffentlichte Lern- und Lehrmaterialien. Seit 2015 gibt es Handlungsempfehlungen der UNESCO, OER gezielt in den Hochschulen zu verankern,3 ein Jahr später veröffentlichte das Bundesministerium für Bildung und Forschung Richtlinien zur Förderung offener Bildungsmaterialien.4 OER sind für den Bildungsbereich in zweifacher Hinsicht von Bedeutung:

  1. Verbesserungen der Lehre durch vom Lehrpersonal entwickelte OER
  2. Verbesserungen für den Beruf durch von Studierenden entwickelte OER

Zu 1.) OER in der Lehre ermöglichen ein aus rechtlicher Sicht unbedenkliches Blended Learning bzw. Unterrichtsformen, die unterschiedliche Methoden und Medien wie zum Beispiel Präsenzunterricht und eLearning kombinieren. Unter eLearning werden »alle informations- und kommunikationstechnologisch unterstützten Lehr-/Lernansätze« verstanden, »die (potenziell) keinerlei Präsenzanteile enthalten und somit räumlich und/oder zeitlich flexibel durch den Lernenden genutzt werden können«.5 »Der Mehrwert einer funktional aufeinander abgestimmten Kombination der Präsenzlehre mit digitalen Elementen besteht darin, dass Vorteile der jeweiligen Lehrmodi und Methoden erhalten bleiben und deren Nachteile abgefedert oder vermieden werden können.«6
Zu 2.) OER für den späteren Beruf dienen der aktiven Berufsvorbereitung, da hierfür fachwissenschaftliche Erkenntnisse, künstlerische Erfahrung und berufliche Anforderungen in ein konstruktives Verhältnis gebracht werden müssen.

Probleme

Entwicklungen zeigen, dass der Implementierung von OER in die Hochschullehre Probleme entgegenstehen, deren Lösungen erhebliche finanzielle Investitionen erfordern. Beispielsweise war bei Auflegung eines Förderprogramms an der Hamburg Open Online University (HOOU) zuerst das Interesse an OER gering, darüber hinaus hatte eine erste Förderrunde zum Ergebnis, dass die multimedialen Fähigkeiten zur Erstellung von OER bei den Lehrenden nicht ausreichend waren.7 Erst durch eine zweite Förderrunde sowie durch Investitionen in die Fortbildung des Lehrpersonals konnten die gewünschten Ergebnisse erzielt werden.

Problemlösungen

Die Implementierung von OER in die Hochschullehre erfordert:

  • eine institutionalisierte Aufklärung zum Thema OER,
  • Anreize für Kolleginnen und Kollegen durch finanzielle Förderungen für die Herstellung von OER sowie die Möglichkeit von Deputatsanrechnungen8
  • Verankerung der Herstellung von OER in den Curricula,
  • Anreize für Studierende über den Erwerb von ECTS-Punkten,
  • Fortbildungsmöglichkeiten zu den erforderlichen technischen Kompetenzen (Video, Audio, Layout und Internet) für Lehrende und Lernende (hoher Bedarf an Personal- und Sachmitteln),
  • eine angemessene räumliche und technische Ausstattung (hoher Bedarf an Sachmitteln). Zum Beispiel werden Räume benötigt, die aufgrund der Geräusch- und Beleuchtungssituation sowie einer Colorkey-Wandfarbe (Greenscreen) für das Herstellen von Filmen geeignet und für Studierende und Lehrende leicht zugänglich sind (z.B. Bewerbungs-, Lehr- und Unterrichtsvideos etc.). Unterrichtsräume müssten zudem – auch im künstlerischen Bereich - auf die Digitalität vorbereitet werden, zum Beispiel durch Filmkameras, Aufnahme- und Wiedergabegeräte sowie schnelles Internet für Livestreams, Tablets für Unterrichtsrepositorien (im Sinne des neuen § 60a UrhG) usw.

Weitere Probleme

Weitere Probleme, die sich weder motivational, technisch noch räumlich lösen lassen, entstehen durch das Urheberrecht. Hier sollte eine ständige Rechtsberatung zur Verfügung stehen, welche die OER-Projekte begleitet und umfassend über das Urheberrecht, freie Lizenzen (Creative Commons/MIT, Copyleft-Lizenzen wie GNU/GPL etc.) sowie über die aktuellen Schrankenbestimmungen des Urheberrechts informiert (insbesondere §§ 51, 52 sowie 60a bis 60h). Zudem fehlen vielenorts im Bereich Multimedia Amtskompetenzen bzw. Positionen, die über Entscheidungsbefugnisse verfügen und die das Wirksamwerden multimedialer Individualkompetenzen in den Studiengängen gewährleisten können.

Problemlösungen

Eine Aufstockung des juristischen Personals in der Verwaltung (Schwerpunktbereich Urheberrecht) sowie eine angemessene Berücksichtigung von Multimedia/Mediendidaktik in den Stellenprofilen.

Gesellschaftlich sichtbare Bereiche mit großer Außenwirkung

In analoger Hinsicht besteht eine wesentliche Leistung der Musikhochschulen darin, durch kostenlose Veranstaltungen (z.B. Konzerte und Vorspielabende etc.) allen Interessierten eine Partizipation an einer lebendigen Musikkultur zu ermöglichen. National und international wirken die Musikhochschulen darüber hinaus durch ihre Absolventinnen und Absolventen, die in der Kreativwirtschaft, im Kulturmanagement oder im Bildungsbereich tätig sind und auf diese Weise zur gesellschaftlichen Entwicklung beitragen.

Digitale Innovation könnte darin bestehen, über Open-Access-Angebote (OA) das Ansehen der Musikhochschulen zu erhöhen sowie deren Leistung für unterschiedliche Bereiche für weite Teile der Gesellschaft sichtbar zu machen (Schule, Musikschule, Erwachsenenbildung etc.). Die variable Granularität von OER kann dabei von einfachen Konzertmitschnitten bis zu vollständigen Lernangeboten reichen (sog. MOOC‘s bzw. Open Online Courses) sowie – als mehrsprachiges Angebot – zur internationalen Reputation beitragen (wie zum Beispiel die OpenCourseWare vom Massachusetts Institute of Technology/MIT). Die Langzeitverfügbarkeit der OA-Angebote lässt sich durch eine enge Zusammenarbeit mit den jeweiligen Musikhochschul- und Landesbibliotheken gewährleisten.


Fußnoten:

  1. Kompetenzorientierung und LehrplanPLUS (15.11.2019).
  2. Der OER-Idee liegen soziale und wirtschaftliche Überlegungen zugrunde: Die sozialen Überlegungen gelten einer freien Bildung, zu der jeder Mensch über das Internet uneingeschränkten Zugang haben soll und die beim Ausgleich globaler Unterschiede helfen können, die wirtschaftlichen Überlegung basieren auf dem Community-Gedanken, da frei zugänglichen Lehr-, Lern- und Forschungsressourcen kostengünstige und zeitnahe Veränderungen, Aktualisierungen und Anpassungen erlauben.
  3. Barabara Malina, Leitfaden zu Open Educational Resources in der Hochschulbildung. Empfehlungen für Politik, Hochschulen, Lehrende und Studierende, Deutsche UNESCO-Kommission, Bonn 2015.
  4. Bekanntmachung, (16.11.2019).
  5. Christian Langenbach, E-Learning an Hochschulen – kritische Bestandsaufnahme, Entwicklungslinien und Perspektiven (= Arbeitsberichte der Fächergruppe Organisation und Wirtschaftsinformatik / Fakultät Betriebswirtschaft 1), Nürnberg 2017, urn:nbn:de:bvb:92-opus4-2486.
  6. Klaus Wannemacher, Digitale Lernszenarien im Hochschulbereich, unter Mitwirkung von Imke Jungermann, Julia Scholz, Hacer Tercanli und Anna von Villiez, 2016, S. 15.
  7. Prof. Dr. Kerstin Mayrberger, »Strategien für die Digitalisierung der Hochschullehre im Kontext von Openness«, Impulsvortrag zum Workshop ›Digital lernen – aber wie? E-Learning‹ am 09.10.2019, einer Gemeinschaftsveranstaltung des Zentrum Digitalisierung.Bayern (ZD.B) und dem Lehrstuhl für Pädagogik mit dem Schwerpunkt Medienpädagogik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
  8. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen hierzu sind beispielsweise in Bayern gegeben: »Die Erstellung und Betreuung von Multimedia-Angeboten kann in einem dem Zeitaufwand entsprechenden Umfang auf die Lehrverpflichtung angerechnet werden, jedoch höchstens bis 25 v.H. der festgelegten Lehrverpflichtung. Eine Lehrver-anstaltungsstunde (Anrechnungsfaktor 1) entspricht drei Arbeitsstunden« (§ 3 Satz 9 LUFV).