Anmerkungen zum Herausgeber
Zurück zur Übersicht"Publikationen sind gleichsam das Zahlungsmittel der Wissenschaft [...] Nur mit Hilfe von Publikationen werden wissenschaftliche Resultate zitierfähig [...]"
Niklas Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1990, S. 432.
So klar wie von Niklas Luhmann kann man es selten lesen: Kluge Gedanken, bestechende
Ideen und eine gelehrte Rede gehören (im strengen Sinne) nicht zu dem, was Wissenschaft
im Kern ausmacht. Das Zahlungsmittel der Wissenschaft bilden die verschriftlichten
Forschungsergebnisse (also zum Beispiel Bücher, Aufsätze usw.), an die andere anschließen
können, indem sie diese Beiträge lesen und die darin befindlichen Aussagen bestätigen
oder widerlegen. Dass Luhmann nur die Schriftlichkeit gelten und die Mündlichkeit
außen vor lässt, kann man sich an einem alltäglichen Szenario leicht veranschaulichen:
Einer sagt etwas, ein anderer bezieht sich darauf, woraufhin der erste behauptet,
er habe das so ja gar nicht gesagt und sei darüber hinaus missverstanden worden.
Man kann sich irgendwie immer herausreden, schreibt man dagegen etwas auf, muss
man dazu stehen, auch wenn es falsch ist.
Ist Schriftlichkeit das Zahlungsmittel der Wissenschaften,
muss das Zahlungsmittel verwendet werden können, muss ein schneller Zugang möglich
sein. Hierfür benötigt man wiederum Angaben darüber, wo sich eine bestimmte Aussage
finden lässt, also in welchem Buch oder Aufsatz man sie nachschlagen kann. Auch
sollten diese Angaben in hohem Maße standardisiert und für alle im Wissenschaftsbetrieb
Arbeitenden schnell und eindeutig verständlich sein. Solche standardisierten Angaben
werden auch bibliographische Informationen genannt,
der Vorgang des Verweisens selbst im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit heißt
Zitieren.
Die Standards für das Zitieren im wissenschaftlichen
Kontext kann man sich wie Spielregeln eines Spiels vorstellen: Sie sind nicht an
allen Orten gleich (die Doppelkopf-Regeln in Berlin und Nordrhein−Westfalen
unterscheiden sich beispielsweise ebenso wie die Zitierstile verschiedener Zeitschriften),
und Regeln sind auch nicht unveränderbar (gelegentlich werden sie ganz offiziell
"angepasst"). Wenn Sie sich also an einen "Spieltisch" setzen, um nach den im Wissenschaftsbetrieb
geltenden Regeln "zu spielen" (zum Beispiel eine Bachelor- oder Zulassungsarbeit
schreiben möchten), müssen Sie sich also als erstes informieren, welche Spielregeln
an Ihrem Tisch gelten (am besten, Sie fragen hierzu Ihren örtlichen "Spielleiter",
also in der Regel die Betreuerin oder den Betreuer Ihrer Arbeit).
Wie bereits erwähnt, haben die Regeln wissenschaftlichen
Zitierens den Sinn, die in einer Arbeit verwendeten Quellen offenzulegen, so dass
jede Leserin und jeder Leser die angegebenen Quellen auffinden, einsehen und damit
wissenschaftliche Aussagen überprüfen kann. Auf dem Weg, dieses Ziel zu erreichen,
muss allerdings nicht immer alles gleich sinnvoll sein. Zum Beispiel ist es momentan
in der Musikforschung (vgl. hierzu die Autorenrichtlinien) üblich, Autoren im bibliographischen
Verzeichnis nach dem Schema <Vorname> <Nachname> anzugeben, obwohl die
Einträge im Literaturverzeichnis nach dem Nachnamen alphabetisch sortiert werden.
Stellen Sie sich also vor, Sie würden im Literaturverzeichnis einen bestimmten Autor
suchen. Dann müssten Sie in den bibliographischen Angaben immer auf den ersten Buchstaben
des zweiten Wortes achten, was aufwendiger ist, als wenn die alphabetisch sortierten
Nachnamen gleich am Anfang einer jeden Zeile ins Auge fallen würden. In anderen
Zitierstilen wird das auch so gemacht, nur im Moment halt nicht am "Spieltisch"
der Musikforschung.
Eine umstrittene Frage ist es, ob neben dem Urheber
auch der Herausgeber eines Werkes angegeben werden muss. Hier dürften die Meinungen
auseinander gehen. Versuchen wir, die Kontroverse zu verstehen.
»Ja, die Herausgeber müssen angegeben werden.«
Zur Begründung dieser Aussage ließe sich anführen, dass eine Herausgeberschaft jede
Menge Arbeit bedeutet, die im Dienste der Wissenschaften geleistet wird und die
entsprechend anerkannt werden sollte. Vielleicht bemerkt Herr XYZ, dass es zu einem
spezifischen Thema noch sehr wenig Veröffentlichungen gibt (man sagt dann auch:
"Dieses Thema ist ein Desiderat der Forschung"). Anschließend müssen kompetente
Autoren zu diesem Thema ausgewählt und angesprochen, die Beiträge eingesammelt und
formal lektoriert sowie die Bedingungen mit dem Verlag ausgehandelt werden usw.
Der kleine Vermerk "hrsg. von XYZ" trägt dieser Arbeit Rechnung, denn ohne einen
Herausgeber könnten wir die Leistungen von herausgegebenen Urhebern ja überhaupt
nicht lesen (denn dann wären sie ja gar nicht veröffentlicht).
»Nein, die Herausgeber müssen nicht angegeben werden.«
Hierfür spricht, dass es ungleich schwieriger ist, ein Buch zu schreiben als es
herauszugeben. Denn die primäre Leistung des Autors besteht in einer langwierigen
inhaltlichen Auseinandersetzung mit einem Thema (das heißt, in der Erforschung eines
Gegenstandes), die des Herausgebers hingegen in der formalen Arbeit (Auswählen der
Autoren, formales Lektorieren, Gespräche mit dem Verlag etc.).
Der erste Punkt (verpflichtende Angabe des Herausgebers) ist einleuchtend und scheint gewichtiger zu sein als der zweite, der die Akteure lediglich auf semantisch unterschiedlichen Ebenen ansiedelt. Doch schauen wir uns hierzu ein Beispiel an: Frau Prof. Dr. Silke Leopold ist eine bekannte Musikwissenschaftlerin und unter anderem eine Spezialistin für Claudio Monteverdi. Über Monteverdi hat sie ein Buch verfasst:
Silke Leopold, Claudio Monteverdi und seine Zeit (= Große Komponisten und ihre Zeit), Laaber 1982.
Im Internet findet man nun auch noch ein weiteres Buch dieser Autorin zum Thema, das sie anscheinend zusammen mit einem Co-Autor geschrieben hat. In einem Online-Shop lesen sich die bibliographischen Angaben zu diesem Titel wie folgt:
Silke Leopold und Joachim Steinheuer, Claudio Monteverdi und die Folgen, Kassel 1998.
Silke Leopold und Joachim Steinheuer werden aufgrund des Datensatzes, der Online-Händlern zur Verfügung steht, explizit als Autoren (also als Urheber) genannt. Nimmt man das Buch allerdings in die Hand und blättert zur Seite 3, bekommt man ein ganz anderes Bild. Nach diesen Angaben müsste es im bisher gepflegten Zitierstil heißen:
Claudio Monteverdi und die Folgen. Bericht über das Internationale Symposium Detmold 1993, hrsg. von Silke Leopold und Joachim Steinheuer, Kassel 1998.
In dem Buch finden sich Beiträge von 23 Autoren, Joachim Steinheuer ist als Autor
vertreten, Silke Leopold hat aber in diesem Buch gar nichts geschrieben (außer ein
Vorwort zusammen mit Herrn Dr. Steinheuer).
In vielen Reihen werden auf diese Art Herausgeber
mitgeschleppt, die schon lange nichts mehr für eine Herausgabe getan haben. Zum
Beispiel bin ich Herausgeber der Reihe Lernprogramme, die wiederum eine Unterreihe der Reihe Bärenreiter Studienbücher Musik ist.
Das erste Buch dieser Reihe habe ich selbst geschrieben, das
zweite Buch mit einem Co-Autor zusammen. Soweit, so gut. Als drittes Buch habe ich
mir ein Lehrwerk zur Musik des 20. Jahrhunderts in dieser Reihe gewünscht, und mein
Kollege Prof. Dr. Christoph Wünsch ist (nicht nur) auf diesem Gebiet
äußerst kompetent. Also habe ich ihn gefragt, ob er das Buch schreiben würde und
anschließend im Bärenreiter-Verlag angerufen, ob sie ein solches Buch lektorieren
und drucken würden. Dreimal "ja" und die Sache war perfekt. Danach hatte ich mit
dem Buch eigentlich nichts mehr zu tun (heute arbeite ich allerdings gerne damit,
Christoph hat es mir geschenkt). Rechtfertigt meine ungefähr 30-minütige Tätigkeit,
dass auf das Buch von Christoph Wünsch wie folgt verwiesen werden muss:
Christoph Wünsch, Satztechniken im 20. Jahrhundert (= Lernprogramme 3, hrsg. von Ulrich Kaiser, in: Bärenreiter Studienbücher Musik 16, hrsg. von Jutta Schmoll-Barthel und Silke Leopold), Kassel 2009.
Oder wäre die folgende Angabe dem Autor gegenüber nicht fairer:
Christoph Wünsch, Satztechniken im 20. Jahrhundert (= Bärenreiter Studienbücher Musik 16), Kassel 2009.
Durch Verweis auf die Reihe (= Bärenreiter Studienbücher Musik 16) kann man das
Buch jedenfalls auch im Verlagskatalog schnell ausmachen, durch die Angabe der Herausgeber
findet man es nicht schneller. Ein Verzicht auf die Herausgeberschaften könnte verhindern,
dass in Datensätzen Namen als Autoren für Publikationen erscheinen, die von ihnen
gar nicht geschrieben worden sind (oder für die ihr Beitrag sehr überschaubar war).
Die Tatsache, dass es große Herausgeber-Leuchten gibt, die nur kleine Autoren-Lichter
sind, wird letztendlich die Kehrseite der Medaille bleiben, auf deren Vorderseite
die Arbeit einer seriösen Herausgeberschaft in einer bibliographischen Angabe gewürdigt
wird.
Ganz ähnlich verhält es sich in der Frage, ob die
Verlagsangabe verzichtbar ist oder nicht. Früher war eine solche Angabe von Bedeutung,
damit man eine Hilfe hatte, wo man das Buch bestellen kann. Heute hingegen − im
Zeitalter der Online-Shops − dürfte diese Angabe entbehrlich sein.
Es verwundert daher wenig, dass die Verlagsangabe auch als verzichtbare Werbung
angesehen und in bibliographischen Angaben weggelassen wird. Zumindest am Spieltisch
der Musikforschung ist das so, an anderen Spieltischen
ist es anders. Am schlauesten war in dieser Hinsicht der Laaber-Verlag. Er hat sich
so genannt, wie der Ort, in dem er angesiedelt ist. Und da Ortsangaben im Gegensatz
zu Verlagsangaben obligatorisch sind, weiß man immer gleich, wer's gedruckt hat,
wenn man beispielsweise liest "Laaber 1993" (dagegen wissen nur Insider, dass man
in "Kassel" den Bärenreiter-Verlag, in "Mainz" den Schott-Verlag und in "Hildesheim"
den Olms-Verlag findet).