Persönliche Hinweise
Zurück zur ÜbersichtDie Frage danach, was Wissenschaft ist, ermöglicht viele und sehr komplexe Antworten. Im Folgenden finden Sie einen Versuch, den aktuellen Wissenschaftsbegriff auf eine bildliche und eine sytemtheoretische Art (nach Niklas Luhmann) zu veranschaulichen bzw. zu erläutern.
Bildlich gesprochen... | Anders ausgedrückt... |
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Wissenschaft ist ein Gesellschaftsspiel mit dem Ziel, überprüfbares Wissen zu gewinnen. Wissenschaft ist vergleichbar mit einer Spielhalle, in der verschiedene Fachwissenschaften an verschiedenen Tischen Varianten des Wissenschaftsspiels spielen. In der Spielhalle gelten die allgemeinen Spielregeln des Wissenschaftsspiels, von Spieltisch zu Spieltisch darüber hinaus noch ein paar individuelle Spielregeln. | Wissenschaft ist ein Kommunikationssystem, das eine Umwelt hat (die übrige Gesellschaft). Das Wissenschaftssystem ist in verschiedene Subsysteme (= fachspezifische Kommunikation) ausdifferenziert, es operiert autopoietisch, operativ geschlossen und beschäftigt sich mit selbsterzeugter Unsicherheit. |
Jeder Mensch kann am Wissenschaftsspiel teilnehmen, doch niemand muss es, denn es gibt alternative Gesellschaftsspiele (z.B. Politik, Wirtschaft, Erziehung usw.). Spielerinnen und Spieler des Wissenschaftsspiels nennt man Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. | Ausdifferenzierte Gesellschaften als Systeme bestehen aus Teilsystemen (z.B. Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, Erziehung usw.), welche spezifische Leistung für die Gesellschaft bzw. das gesamte System erbringen. |
Die Regeln des Wissenschaftsspiels werden von den Spielerinnen und Spielern des Wissenschaftsspiels selbst gemacht. Betrugsfälle bzw. Regelverletzungen sollten der Spielhallenaufsicht (= Ombudsperson für gute wissenschaftliche Praxis) gemeldet werden, wobei aufgedeckte Betrugsfälle ein Hausverbot sowie den Ausschluss aus dem Wissenschaftsspiel nach sich ziehen. | Die Wissenschaft als System operiert mit der Codierung wahr/unwahr (das war nicht immer so). Beiträge, die nachweisbar auf Betrug, Täuschung oder unsauberer Arbeit basieren, sind im Wissenschaftssystem nicht anschlussfähig (und werden ausgeschlossen). |
In der Spielhalle ist ein Wechsel von Spieltisch zu Spieltisch generell möglich, üblicher Weise aber nicht innerhalb eines Spiels (= Forschungsvorhabens). | Der Wechsel des wissenschaftlichen Paradigmas ist möglich, allerdings nicht innerhalb eines Forschungsvorhabens: Man kann nicht die Möglichkeit der Erforschung einer Autorintention grundsätzlich in Frage stellen (z.B. aus der Perspektive einer konstruktisvistischen Systemtheorie) und sich anschließend der Erforschung einer Autorintention widmen (z.B. aus der Perspektive einer spezifischen Spielart musikwissenschaftlicher Hermeneutik). |
Regeln (am Spieltisch) einer konstruktivistischen Systemtheorie
- Gespielt wird mit kontingenten Konstruktionen der Wirklichkeit (kontingent = so oder auch anders möglich, jedoch nicht beliebig).
- Jedem Wissenschaftsspiel liegt eine theoretische Idee zugrunde. Ein Forschungsvorhaben beruht dabei auf einer Theorie, die aus Aussagesätzen besteht, die sich auf etwas anderes als sich selbst beziehen.
- Zu jedem Wissenschaftsspiel gehören außerdem Methoden, das heißt: theoretische Sätze müssen mithilfe methodischer Überprüfung als wahr oder unwahr qualifiziert werden.
- Unvoreingenommenheit ist nicht gestattet, denn die Feststellung von ›Unvoreingenommenheit‹ ist eine Selektion aufgrund von Vorwissen und daher ›Voreingenommenheit‹ (bzw. nicht unvoreingenommen).
- Die Erforschung von Autor- oder Komponistenintentionen ist nicht gestattet, da psychische Systeme autopoietisch, operativ geschlossen und für ihre Umwelt nicht zugänglich sind.
Musikwissenschaft und Musiktheorie
Musikwissenschaftliche und musiktheoretische Forschung gehen im Hinblick auf Problem und Problemlösung entgegengesetzt vor:
- Musikwissenschaftliche Forschung fokussiert Musik als Problemlösung (Wirkung) eines spezifischen Problemkontextes (einer historischen Ursache). Funktionale Äquivalenz wird dabei nur auf Seiten des Problemkontextes toleriert, auf Seiten der Musik (Gadamers »Vorgriff der Vollkommenheit«) dagegen ausgeschlossen.
- Musiktheoretische Forschung fokussiert Musik als Lösung generalisierter Bezugsprobleme (z.B. Modulation, Reprisengestaltung etc.), für die funktional äquivalente Lösungen auf Seiten der Musik möglich sind.
In diesem Sinne wird musikwissenschaftliche Forschung in der institutionellen Musiktheorie und musiktheoretische Forschung in der institutionellen Musikwissenschaft praktiziert.